Die Situation der Menschen auf der Flucht, ausgelöst durch die zahlreichen Kriegsschauplätze in unserer Welt, durch Umweltkatastrophen, Hunger und wachsende Armut, durch die unmenschliche Kriegssituation in der Ukraine und auch durch unerfüllbare Lebenserwartungen von Flüchtenden, die zwar geweckt und gesteuert, aber nicht erfüllt werden können, grenzt die derzeitige Situation an Überforderung, die wir als Gesellschaft insgesamt kaum bewältigen können. Vor allem an den Ostgrenzen Österreichs wird diese Situation zu einer alltäglichen Herausforderung mit hunderten von flüchtenden Menschen, mit der Brutalität der Schlepper, des Menschenhandels, mit den Ängsten und Verunsicherungen der Bevölkerung an den grenznahen Gemeinden, und mit vielen Bildern, die an das Jahr 2015 erinnern. Allen Verantwortlichen ist klar, dass sich die Situation nicht wiederholen und die Wirklichkeit uns nicht überrollen darf.
Gesamteuropäische Vorgangsweisen lassen auf sich warten. Ob eine Visaänderung Serbiens die Situation entschärfen kann, ist ungewiss, wie sich die Kriegssituation und die damit absehbar gewordene Flucht vor Winter und Kälte entwickelt, lässt sich heute noch nicht vorhersagen.
Jedenfalls hat mich die Hilfsbereitschaft vieler, vor allem auch osteuropäischer Länder – was die Ukraine betrifft – in diesem Zusammenhang beeindruckt – anlässlich der Vollversammlung der Europäischen Bischofskonferenz in Brüssel wurde darüber vor einigen Tagen ausführlich berichtet. Dabei konnte auch ich den unverwechselbaren österreichischen Beitrag zur Geltung bringen.
- Ich danke allen, die bisher Außerordentliches und ein übergroßes Maß an Solidarität und rasche Hilfe eingebracht haben. Das betrifft die Regierungsverantwortlichen und staatlichen Stellen, die Flüchtlingskoordination, verschiedene Institutionen und nichtstaatliche Einrichtungen, die Kirchen, die Caritas, die Diakonie, das Rote Kreuz und die Rettungs- und Sozialeinrichtungen, ganz besonders die Polizei, das Militär und die vorwiegend jungen Soldatinnen und Soldaten, die vielen Privaten und Ehrenamtlichen, Orden und Pfarren, Gemeinden und alle, die durch die gemeinsame Anstrengung vieles geschaffen haben, das einer humanen Höchstleistung gleichkommt.
- Niemand von uns kann abschätzen, was die kommenden Wochen und Monate bringen werden. Die Zahl von über 72.000 Asylanträgen von Jänner bis September des heurigen Jahres, menschliche Tragödien, Tote und Erstickte, verschwundene Minderjährige, die hohe Zahl von Menschenschleppern in unseren Gefängnissen und der zunehmende Platzmangel in den Flüchtlingsquartieren schaffen Überforderungen, teilweise Ratlosigkeit und Aggressionen. Einige unserer Bundesländer haben bisher schon die Verteilerquote erfüllt, andere sind noch säumig. Die Frage der Unterbringung der Flüchtlinge und Migranten in Zelten, kann keine zielführende sein und spaltet die Länder, Gemeinden und Menschen, unser ganzes Land.
- Ich bin überzeugt, dass es noch vorhandene und geeignete Quartiere gibt, die eine menschenwürdige und winterfeste Unterbringung möglich machen und mehr Lebenswürde als Zelte bringen. Flüchtlingsquartiere erheben keinen Anspruch, Luxusunterbringungen sein zu müssen. Bundesimmobilien, Landesimmobilien, Klöster, ungenützte kirchliche Gebäude, leere Wohnungen der Wohnbaugenossenschaften und private Quartiere sind in ausreichendem Maß vorhanden, und jedenfalls besser und menschenwürdiger als die geplanten Zelte, die weder wetter- noch winterfest sind und für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Provokation und eine zusätzliche Verunsicherung bedeuten.
Eine solche Schnellaktion mit der Aufstellung von Zelten spaltet die Gemeinden und provoziert unnötige Ängste bei den Eltern vieler Kinder und bei vielen älteren Menschen.
- Anlässlich des Österreichischen Nationalfeiertages bitte ich daher um große Solidarität aller Menschen in Österreich. Rasches Handeln ist angesagt, Solidarität in hohem Maß und Hilfsbereitschaft dürfen nicht abgesagt werden. Das hat sich bewährt 1956, die Flucht Unzähliger über die Brücke von Andau und anderswo, in den Jahren nach dem Krieg, 1989 bei der Durchtrennung des Eisernen Vorhanges an unseren Ost- und Nordgrenzen, 2015 bei der überrollenden Flüchtlingswelle und in den Nachfolgejahren, seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, und das wird sich auch weiterhin bewähren.
Ich lade zum Gebet für den Frieden ein, für den Frieden bei unseren Nachbarn in der Ukraine, für den Frieden in unserer Welt. Ich lade ein zum Gebet, das ein Umdenken bewirkt, Versöhnung stiftet, Geduld und Toleranz hervorbringt und an einer Hoffnung baut, die unsere Zukunft trägt.
+ Ägidius J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt, Referent der
Österreichischen Bischofskonferenz für Migration, Flucht
und Europafragen in der ComECE – Bischofskonferenz
der Europäischen Gemeinschaft |
|